Panel F, moderiert von Ivy Owusu-Dartey, war der zweite Block der sich dem Thema der „Postkolonialen Perspektiven” widmete.
Eine postkolonial sensible Untersuchung der Süd-Nord-Komponente von weltwärts aus Sicht von Freiwilligen aus dem Globalen Süden
Lisa Bergmann
Ziel des Beitrags ist, eine kritische Perspektive hinsichtlich der Ausgestaltung des Süd-Nord-Programmes einzunehmen. Hierfür wurden aktuelle und ehemalige Freiwillige aus dem Globalen Süden mithilfe von narrativ geprägten Leitfrageninterviews befragt. Hierbei sollten die Meinungen und Erlebnisse der Freiwilligen in den Blick genommen werden. Den theoretischen Hintergrund der Studie bildet die postkoloniale Theorie, die mit einem rassismuskritischen Ansatz ergänzt wurde. Einen Schwerpunkt bildet die von den Interviewten geäußerte Kritik am Programm, Erfahrungen mit Stereotypisierungen sowie die Frage der ‚Entwicklung‘.
Den Kapitalismus in seinem Lauf hält kein entwicklungspolitischer Freiwilligendienst auf – eine radikale Kritik an der Legitimation des prekären Neo-Kolonialismus
Dr. Tobias Denskus
Im Kontext von entwicklungspolitischen Freiwilligendiensten wird deren Rolle als governmentales Ordnungsinstrument im Foucault’schen Sinne bisher kaum kritisch untersucht. So ist es den großen, staatlich geförderten Diensten gelungen ein Verständnis von entwicklungspolitischen Freiwilligendiensten zu etablieren, das zivilgesellschaftliches, solidarisches und kritisches globales Engagement oft durch eine moderne Form des ”Voluntourismus” ersetzt. Durch die Professionalisierung und Skalierung der Dienste entstehen neue Formen der Kontrolle, die junge Freiwillige in ein Korsett neoliberaler Praktiken einpassen. Zwischen Praktikum, prekärer Beschäftigung und dem Versprechen seinen Lebenslauf zu formen wurden traditionelle Dienstformen global erweitert. Gleichzeitig werden so MarktteilnehmerInnen geformt, die Master-Studiengänge, Weiterbildungen oder assessment center konsumieren, um dem entwicklungspolitischen Arbeitsmarkt ein Überangebot an gut ausgebildeten InteressentInnen zu bieten. Wie zuvor bei vielen anderen EZ Plastikwörtern (z.B. Partizipation, Gender, Friedensförderung) hat sich eine Entsende- und Workshop-Industrie gebildet die einen entpolitisierten Wohlfühl- und Mitmach-Diskurs betreut ohne einen alternativen habitus anbieten zu können, wie man globales Engagement kritisch und radikal anders denken kann.
Gleichzeitig etabliert sich gegenwärtig in vielen Bereichen der EZ-Industrie und Entwicklungsforschung eine Diskussion um ”De-Kolonialisierung”, die entwicklungspolitische Freiwilligendienste vor fundamentale Herausforderungen stellen könnte: Eingebettet in die gesellschaftlichen, politischen und wirtschaftlichen Dynamiken des globalen Nordens werden Ressourcen wie Empathie oder Graswurzelentwicklungen kommodifiziert – oft im Zusammenspiel mit einer wachsenden lokalen Mittelschicht im globalen Süden die entsprechende Partnerinstitutionen vor Ort betreiben. In diesen neuen Zentrum-Peripherie-Dynamiken werden Wissen, lokale Talente und alternative Organisationsformen wiederum den Bedürfnissen des globalen Nordens unterworfen.
Diese überspitzte, in Teilen polemische Kritik an entwicklungspolitischen Freiwilligendiensten ist bewusst radikal und dekonstruktiv formuliert. Basierend auf Erfahrungen mit ähnlichen Programmen (z.B. der zivile Friedensdienst) soll die Frage erörtert werden, ob und wie man derartige Programme im 21. Jahrhundert sinnvoll anbieten kann und im Geiste von ”anarchistischen” Ideen wie sie derzeit in der Geografie diskutiert werden, radikaler gestalten kann.